Kohlefaser-Verbundwerkstoffe werden bei der Entwicklung von Leichtbau-Autos eine zentrale Rolle spielen, trotz Schwierigkeiten bei der Massenfertigung.
Strengere Umweltauflagen und die wachsende Zahl von Autos in Entwicklungsstädten zwingen die Automobilindustrie zum Umdenken. Im Fokus stehen Leichtbau-Karosserien in neuen Formen und leistungsfähige Batterieantriebe für Hybrid- und Elektrofahrzeuge.

Spätestens 2014 werden so gut wie alle Autohersteller Hybridfahrzeuge im Angebot haben, und das ist nur der Anfang. Professor Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Instituts für Automobilforschung (CAR) der Universität Duisburg-Essen, spricht von einem technologischen Wandel.
„Bis 2025 wird der Anteil Neuwagen mit reinem Kraftstoffantrieb weltweit auf 35 Prozent geschrumpft sein“, sagt er.
Einer anderen Prognose zufolge sollen in zehn Jahren 24 Millionen Hybrid- oder Elektrofahrzeuge jährlich verkauft werden. Dudenhöffer hält diese Zahl für eine konservative Schätzung. Alle Autobauer kämpfen jedoch mit demselben Problem – dem Gewicht. Nach Einbau der Batterie erhöht sich das Gewicht eines Elektroautos um 250 Kilogramm und das eines Plug-In-Hybrids um 200 Kilogramm.
Volvo Cars arbeitet zurzeit an einer möglichen Lösung. Zusammen mit Forschern der Fakultät für Luftfahrttechnik des Imperial College London haben Ingenieure im schwedischen Göteborg einen Verbundwerkstoff aus Kohlefasern und Polymerharzen entwickelt, der Energie laden und speichern kann. Die Idee ist, aus diesem Material eine Karosserie zu bauen, die gleichzeitig als elektrochemische Batterie fungiert. Die Frage ist, wann diese Lösung praktisch realisierbar sein wird.

Per-Ivar Sellergren, Entwicklungsingenieur im Volvo Cars Materials Center, ist optimistisch. „Wenn alles nach Plan läuft, werden wir bis Ende 2012 einen Prototypen in Form einer Heckklappe haben“, sagt er. Der Preis spielt natürlich eine Rolle. Aber trotz des erheblich höheren Preises verglichen mit Stahl und Aluminium ist Sellergren davon überzeugt, dass Verbundwerkstoffe für Elektro- und Hybridfahrzeuge das Material der Zukunft sind.
Nach Volvos Berechnungen würde eine Motorhaube aus dem neuen Werkstoff dasselbe kosten wie eine Originalhaube plus Lithium-Ionen-Akku. „Als Hersteller könnten wir an der Carbon-Haube zusätzlich verdienen, weil wir die Batterie sozusagen gratis bekommen“, so Sellergren.
Nach Ansicht von Ulf Carlund, dem Verbundstoffexperten bei Volvo Cars, waren die Fertigungsmethoden bisher zu langsam. Außerdem mussten sich erst einmal die Investitionen in herkömmliche Automobilfabriken bezahlt machen. Teilweise liegt es auch daran, dass sich traditionelle Autobauer, die Stahlblech verarbeiten, mit Verbundwerkstoffen schwer tun. Der Wille zur Veränderung ist jedoch unübersehbar. Deshalb werden sich nach Meinung von Volvo-Experten Polymerwerkstoffe im Automobilbau immer stärker durchsetzen, sowohl bei der Karosserie als auch bei der Innenausstattung.
Audi hat mit dem A2-Modell aus Aluminium den Weg für den Leichtbau geebnet. Im Leichtbau-Zentrum des Unternehmens in Neckarsulm baut man auf Vorhandenes auf: Tochterunternehmen Lamborghini verwendet bereits Kohlefasertechnik und Volkswagen hat für das Luxusmodell Bugatti eine Verbundstofftechnologie entwickelt.
Bei Audis Sportwagenmodell R8 Spyder, das über 120.000 Euro kostet und von dem nur circa 15 bis 20 Stück pro Tag gefertigt werden, sind sowohl die Seitenteile als auch die Haube des Verdeckkastens aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK). Die Verwendung solcher Werkstoffe in billigeren seriengefertigten Autos könnte kostengünstiger werden, wenn die Möglichkeit bestünde, mehrere Aluminiumkomponenten durch eine einzige Kohlefaserkomponente zu ersetzen. „Statt fünf oder sechs verschiedene Werkzeuge bräuchte man vielleicht nur noch ein Werkzeug“, meint Karl Durst, Entwicklungsingenieur im Audi-Leichtbauzentrum.
Hier befasst man sich unter anderem mit einem Projekt, bei dem es darum geht, Kohlefasern in einem Verbundwerkstoff zu verdichten, um den Gewichtsvorteil gegenüber Aluminium von 17 bis 18 Prozent auf rund 25 Prozent zu erhöhen. Das Projekt basiert auf einem Material, das der Gewichtsbelastung durch Luftwiderstand und Druck auf gleiche Weise standhält wie Aluminium. Es gibt allerdings noch zahlreiche Probleme zu lösen, sagt Durst, zum Beispiel das Problem der Korrosion an den Verbindungen zwischen Verbundstoffen und anderen Materialien. Ein wichtiger Faktor ist auch der Geräuschpegel. Mit jedem Kilogramm, das ein Auto leichter wird, nehmen die Fahrgeräusche zu. Das erfordert Isolierung, die wiederum zum Gewicht des Fahrzeugs beiträgt. Hinzu kommt, dass Autowerkstätten mit Verbundwerkstoffen noch nicht so vertraut sind. „Selbst die kleinste Audi-Werkstatt muss in jedem Land der Welt in der Lage sein, unsere Autos zu reparieren und auch Verbundwerkstoffteile auszutauschen“, betont Durst.

Die Seitenteile des Audi-Sportwagenmodells R8 Spyder sowie die Haube des Verdeckkastens sind aus kohlefaserverstärktem Kunststoff hergestellt.
Der Fertigungsprozess muss verbessert werden. Lars Herbeck, Geschäftsführer von Voith Composites, einer Tochtergesellschaft des deutschen Maschinenbauers Voith, sieht hier einen großen Bedarf in mehreren Bereichen. Optimierung des Materialflusses ist ein Beispiel, ein anderes ist die kontinuierliche Produktion von über 100.000 Komponenten pro Jahr sowie deutlich kürzere Zykluszeiten. Verglichen mit Aluminiumkomponenten, die im Sekundentakt hergestellt werden können, muss man bei größeren Verbundstoffbauteilen mit 20 bis 60 Minuten rechnen. Das funktioniert im Flugzeugbau aber nicht in der Massenproduktion der Autoindustrie, wo weltweit jährlich mehr als 55 Millionen Fahrzeuge vom Band gehen.
Oliver Geiger, Forscher in der Abteilung für Verbundwerkstoffe am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie in Pfinztal, sucht nach Möglichkeiten, um große Unternehmen zur Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen zu bewegen. Denn laut Audis Entwicklungsingenieur Durst wäre ein technologischer Sprung nach vorn wichtiger, als sich auf eine langsame, aber stetige Weiterentwicklung zu verlassen.
Auch Daimler will den Kohlefaser-Einsatz forcieren und verwendet den Werkstoff schon seit 2004 in seinem Rennwagenmodell SLR McLaren. Seit April 2010 arbeitet Daimler mit dem japanischen Chemiekonzern Toray zusammen, dem größten Kohlefaserhersteller der Welt. Das Ziel ist, innerhalb von drei Jahren Komponenten aus Kohlefaser für Modelle mit einem durchschnittlichen Produktionsvolumen von 20.000 bis 40.000 Stück pro Jahr entwickeln zu können.
BMW ist noch erheblich kühner. Zusammen mit seinem deutschen Partner SGL Carbon investiert der Daimler-Rivale 100 Millionen US-Dollar in ein Carbonfaserwerk in Moses Lake im US-Bundesstaat Washington. Nach Aussage des BMW-Finanzvorstands Friedrich Eichinger wird die Fabrik erstmals „große Mengen zu einem wettbewerbsfähigen Preis“ produzieren. Angestrebt wird, den Werkstoffpreis auf weniger als die Hälfte des heutigen Carbonfaserpreises zu reduzieren, der zurzeit für das in Rennwagen verwendete Material bei 22 bis 55 US-Dollar pro Kilogramm liegt.
Zwei Produktionslinien mit einer Jahreskapazität von rund 1.500 Tonnen sollen in Moses Lake Kohlefaser für das neue BMWElektromobil Megacity Vehicle herstellen. Die viersitzige Fließhecklimousine mit einem 35 kWh Lithium-Ionen-Akku soll komplett aufgeladen über 160 Kilometer zurücklegen können. Die Sportwagenvariante wird mit einem kleinen zusätzlichen Dieselmotor und zwei Elektromotoren ausgestattet sein und dürfte damit eine Spitzengeschwindigkeit von mehr als 200 Kilometern pro Stunde erreichen.
Der Megacity soll 2013/2014 in Leipzig in Produktion gehen, wo BMW über 400 Millionen Euro investiert hat. Dem Münchener Autobauer zufolge wird es das weltweit erste Serienmodell mit einem Fahrgastraum komplett aus leichtem Kohlefaser-Verbundwerkstoff auf einem Aluminiumchassis werden. Nach den ersten von BMW veröffentlichten Skizzen zu urteilen, sieht der Megacity wie ein Fahrzeug aus einem Science-Fiction-Film aus – mit einem Akku, der wie eine dünne Matratze den gesamten Raum unter dem Coupé einnimmt, überdimensionalen Reifen und einem dynamischen, fast aggressiven Design.
Wie sich diese Entwicklung auf die Produktion einer ohnehin unter Druck stehenden Industrie auswirken wird, bleibt abzuwarten. „Es ist ein Risiko“, meint ein Leichtbauspezialist eines BMW-Konkurrenten.
Auch BMW-Konzernchef Norbert Reithofer ist sich dessen voll bewusst. Auf einer Tagung in Nürnberg im Oktober 2010 sagte er: „Wir werden vielleicht im ersten Produktionszyklus mit dieser Technologie kein Geld verdienen, aber dann wird sie eben durch traditionelle Verfahren subventioniert.“

Die Serienfertigung ist eine Herausforderung für die Autos der Zukunft.
24 Mio.
Bis 2025 soll der Jahresabsatz an Hybridoder Elektrofahrzeugen auf 24 Millionen ansteigen.
35%
Schätzungen zufolge soll bis 2025 der Anteil der Neuwagen mit reinem Kraftstoffantrieb auf 35 Prozent geschrumpft sein.
Kohlefaser
Die im Flugzeug- und Automobilbau verwendeten Verbundwerkstoffe bestehen hauptsächlich aus kohlefaserverstärkten Epoxid- oder Vinylesterharzen. Verbundwerkstoffe dieser Art zeichnen sich vor allem durch ihr geringes Gewicht und ihre mechanischen Eigenschaften wie hohe Festigkeit aus. Kohlefasern spalten sich leicht, aber entsprechend angeordnet sind sie in der Lage, hohe Mengen an Energie zu absorbieren – bei Verwendung in Rennwagen, die bei hohen Geschwindigkeiten mit anderen Wagen kollidieren könnten, eine absolute Notwendigkeit.
Faserverstärkte Kunststoffe in einer einfacheren Form werden schon seit langem in der Autoindustrie eingesetzt. In der früheren DDR wurden über drei Millionen Trabant-Modelle aus Duroplast gebaut, einem Gemisch aus sowjetischer Baumwolle und chemisch hergestellten Phenolharzen.
AUS TECHNISCHER SICHT
Ein unsicheres Unterfangen
Verbundwerkstoffe in der Flugzeugindustrie sind bereits ein Wachstumsmarkt. Sandvik Coromant bietet für diesen Bereich zahlreiche Werkzeuglösungen an, darunter PKD- und Hartmetallbohrer. In der Autoindustrie herrscht immer noch ein hohes Maß an Unsicherheit darüber, wie groß der Bedarf an Verbundwerkstoffen tatsächlich sein wird.
Die Kohlefasertechnologie hat sich zwar schon bei Formel 1-Rennwagen sowie bei teuren Luxus- und Sportwagenmodellen durchgesetzt, aber diese Autos werden mehr oder weniger manuell in sehr kleinen Stückzahlen hergestellt.

„Was die Serienfertigung betrifft, befinden wir uns noch im Forschungsund Entwicklungsstadium“, erklärt Francis Richt, der bei Sandvik Coromant in der Verbundstoffentwicklung tätig ist. „Wir gehen allerdings davon aus, dass dieses neue Material schon bald in Elektro- und Hybridfahrzeugen zum Einsatz kommen wird, um sie leichter zu machen.“ Die Anwendungen im Flugzeugbau sind komplexer als im Fahrzeugbau, fügt er hinzu. Sie stellen höhere Anforderungen an die Qualität und setzen voraus, dass Verbundwerkstoffe und andere Werkstoffe wie Titan gleichzeitig bearbeitet werden können.
„Wir wissen, dass Autos eine homogenere Struktur haben als Flugzeuge. Hier brauchen zum Beispiel nicht Tausende von Bohrungen erstellt und große Flächen gefräst zu werden“, meint Richt. „Allerdings müssen unter Umständen andere Bohrungsarten erstellt sowie Hohlräume bearbeitet werden. Wir rechnen jedenfalls damit, dass der Bedarf in der Automobilindustrie anders aussehen wird als in der hochtechnologischen Luftfahrt.“
Es gibt bereits Werkzeuge, die für die Autoindustrie geeignet sind. So verfügen etwa die CoroDrill Bohrer von Sandvik Coromant über eine Diamantbeschichtung, wodurch die Bohrungsqualität und die Maschinenleistung insgesamt verbessert werden.

Verbundwerkstoffe werden in Formel 1-Rennwagen bereits eingesetzt. Die Herausforderung besteht darin, die bei der Fertigung kleiner Stückzahlen verwendeten Verfahren auf die Serienproduktion von Personenkraftwagen zu übertragen.
So wird aus einer Karosserie ein Akku
Die Lösung von Volvo Cars für leichtere Elektromobile ist einfach: Statt schwere Batterien einzubauen, will das Unternehmen die gesamte Karosserie in einen Akku umwandeln. So könnte man bis zu 250 Kilogramm Gewicht einsparen, und wenn es um die Alltagstauglichkeit von Elektrofahrzeugen geht, zählt jedes Kilo. Im Mittelpunkt dieses innovativen Konzeptes stehen neuartige Verbundwerkstoffe. Und so funktioniert die Lösung:

